Case Study: Der Tischler – Teil 2
Wichtig sind klare Spielregeln in einem Projekt wie diesem. Peter und mi einigten sich auf „Transparenz in allen Entscheidungen“, „Peter trifft die Entscheidungen“ und „jeder darf alles sagen“.
Das Ziel ist auch schnell gefunden. Das Projekt ist ein Erfolg, wenn an der Weihnachtsfeier alle Mitarbeiter teilnehmen und mit einem Lächeln nach Hause gehen.
Um dieses Ziel auch zu erreichen, war für mi klar, dass sie alle Varianten der Geschichte kennen musste – nicht nur die Sicht von Peter. Als ersten Schritt vereinbarten die beiden ein Gespräch mit Peters Onkel. Auch wenn er eigentlich nicht mehr verantwortlich ist, ist er noch immer die graue Eminenz. Das merkt mi sofort, wenn sie in den Betrieb geht – schließlich hängt der Meisterbrief vom Onkel gleich neben dem Eingang.
In dem Gespräch schildert der Onkel, wie froh er doch ist, dass Peter den Betrieb weiterführt – schließlich ist das ja sein Lebenswerk. Außerdem freut es ihn, dass seine alten Mitarbeiter ihm noch immer am Stammtisch von der Firma erzählen. Er wünscht sich für Peter, dass er seine Träume verwirklichen kann. Er hätte ja auch noch so viele Pläne gehabt, aber dann ist ihm seine Krankheit dazwischengekommen. Dadurch konnte er sich leider nie richtig von seinem Betrieb verabschieden.
mi interessiert sich auch für die Geschichten der Mitarbeiter, doch dazu braucht sie den Rückhalt von Peter und seinem Onkel. Sie vereinbaren eine gemeinsame Jause mit allen Mitarbeitern – am nächsten Freitag zu Mittag; wie ungewöhnlich, denn für gewöhnlich gingen die alten Mitarbeiter am Freitag zum Stammtisch und die jungen zog es in die Stadt. Doch diesmal waren alle hier – immerhin waren sie alle neugierig, was denn der Grund für die Einladung war. Peter stellte mi vor und erklärte, dass sie ihnen helfen werde, besser zueinander zu finden. Die alten Mitarbeiter waren verunsichert und blickten zum Onkel. Dieser ergriff das Wort und erzählte, dass er nun die Zeit nutzen möchte, um Abstand von „seiner“ Firma zu bekommen. Die jungen Mitarbeiter versprachen sich noch nicht viel von dem Vorhaben, waren aber auch irgendwie gespannt, was da noch alles kommen würde. Peter kündigte an, dass mi Gespräche mit allen Mitarbeitern führen werde.
Schon in der nächsten Woche kam mi, um die Gespräche zu starten. Zuerst mit den Alten und dann mit den Jungen. Große Skepsis machte sich breit, als mi in den Pausenraum kam. „Was soll das jetzt werden?“, konnte man in den Gesichtern lesen. Gleich bei der Tür stand eine alte Leiter, mit Brettern quer über die Sprossen gelegt. Auf den Brettern standen unterschiedliche Dinge, wie auf einem Regal. Fotos waren da zu sehen und Pläne von einem Beistelltisch. Auch ein paar Brettchen mit ganz eigenartigen Oberflächen – das hatten die Mitarbeiter noch nie gesehen. mi begann zu erzählen. Sie erzählte von ihrer Familie und zeigte die Fotos. Der Plan entpuppte sich als der Plan von mis Gesellenstück – da waren sie aber überrascht. Eine Tischlerin also. Bei den komischen Materialien erzählte mi von ihrer Zeit als Projektleiterin und wo sie diese Materialien eingesetzt hat. Auch eine ganze Reihe an Babuschkas standen auf dem Regal – diese stammen aus ihrer Zeit als Personalverantwortliche. Schön langsam war das Eis gebrochen und die Mitarbeiter begannen zu erzählen. Von ihren Ängsten und Sorgen. Wie schwer es doch heute ist, einen neuen Job zu finden, und dass sie sich nicht sicher sind, ob Peter mit seinen Vorhaben auch auf sie bauen würde. Mit dem Onkel hätten sie eben Dinge am Stammtisch ausgeredet und so ist es dann auch passiert – auch wenn jeder etwas anderes mit dem Onkel ausgemacht hätte. Die Jungen erzählten davon, dass sie die große weite Welt sehen wollten. Von dem Stammtischgerede würden sie nichts halten – da wisse man ja nie, ob das am Montag noch so ist, und außerdem seien sie für den Stammtisch ja auch noch zu jung. Auch wenn sie weiter fahren müssten, gingen viele lieber in einen größeren Betrieb – da erhoffen sie sich mehr Perspektiven und außerdem könnten sie dort mehr mit dem Kopf arbeiten und nicht mit den Händen.
mi hat einen guten Eindruck der Ängste, Sorgen und Wünsche der Mitarbeiter bekommen, doch zunächst muss sie diese verarbeiten und b davon erzählen. Gemeinsam filtern sie die einzelnen Themen zusammen und suchen nach einer passenden Überschrift: „Loslassen und Einlassen“ – das trifft die Themen auf den Punkt! Peter ist schon auf die Ergebnisse gespannt und so vereinbart er eine Skype-Konferenz mit mi für den Nachmittag. Peter gefällt die Überschrift und muss dabei schmunzeln. Sie fasst genau die Themen zusammen, die er die letzten Monate nur „gespürt“ hat, aber nicht beim Namen nennen konnte. Peter fühlt sich schon viel sicherer und auch sein Onkel hat ihm noch mal zugesichert, dass auch er hinter diesem Projekt steht.